19 März 2021

Eine Geschichte für Dich

Liebster Alex,

es tut so gut Deine Worte zu lesen. Gern würde ich Dich ein wenig mehr aufmuntern, habe aber das Gefühl, dass wir uns in einer endlosen Spirale von Arbeit und Ärger befinden. Deshalb habe ich jetzt diese noch frische Geschichte für Dich.

Heute habe ich ein paar studentische Hilfen zum Tragen meiner neuen Küche engagiert. Ein bunter Haufen junger Männer, vor Kraft strotzend und voller guter Laune. Wie Du weißt, wohne ich im viertem Stockwerk Altbau ohne Fahrstuhl. Wenn man schwer beladen die Treppen hochläuft, ist es gefühlt der zehnte Stock. Als erstes kam die Kühl-Gefrierkombi. Nicht wirklich schwer, aber unglaublich unhandlich. Ich konnte durch alle Stockwerke ihre Stimmen hören, also hatten Sie noch genug Puste für die nächsten Elektrogeräte. Nach einer sehr kurzen Verschnaufpause wollten Sie los mit leeren Händen, wurden von mir schnell belehrt, dass Sie Leergänge später bereuen würden. Bepackt mit Teilen meiner alten Küche, Hausmüll, Altglas und was sonst noch runter musste, machten Sie sich auf den Weg, um ein paar Schränke, Schubladen und Werkzeug nach oben zu bringen. Ich hatte ein wenig Sorge, dass Sie auch alle Kinderwägen, die im Eingangsbereich für gewöhnlich stehen, mit dem mitgebrachten Elan fröhlich nach oben trügen. Ich nahm mir vor, sollte dies geschehen, nicht zu verraten, dass das nicht zum Auftragsumfang gehört und das überflüssige Gut irgendwo mit einem Lächeln zu verstauen. Die glücklichsten Gesichter habe ich aber gesehen, als ich den schon verschwitzten Helden der Arbeit mitteilte, dass es gar keine Spülmaschine zu tragen gäbe.

Weihnachten, Ostern oder ein Heiratsantrag hätten kein schöneres Strahlen hervorbringen können.

Weihnachten, Ostern oder ein Heiratsantrag hätten kein schöneres Strahlen hervorbringen können. Da sind Sie, die kleinen Freuden des Lebens, die Lichtblicke, die mit einer unglaublichen Unbeschwertheit ohne Vorwarnung über dich kommen, um dir die schlechte Laune und deinen Alltagsärger so mir nichts dir nichts einfach entreißen. Du kannst dich dagegen nicht wehren, gegen die gute Laune, die plötzlich durch den Übermut der Jugend und Unbeschwertheit über dich rollt, wie eine warme Welle und du über dich und die Welt lachen musst, als hätte es kein Gestern gegeben und das Morgen völlig egal ist.

Allerdings holt einen die Realität sehr schnell wieder ein. Nein, eigentlich nicht DIE Realität, sondern die Realität der Anderen, der schlechtgelaunten Chefs und Kollegen, der komplizierten Kunden und deren Sonder-Sonderwünsche, der Zwang der ständigen Präsenz für den Job und das Privatlegen, der gezwungenen guten Laune und der völlig irrationale Druck, ständig etwas besser zu machen, mehr zu haben als andere, sich niemals zufrieden geben müssen oder wollen.

Das alles holt mich ständig ein und nur die Liebe zur Dir lässt mich doch wieder lächeln und sanft an das Morgen denken.

Deine Beate

 

P.S. Ich Denk an Dich